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Agile Arbeit braucht Gestaltung

Interview mit Sigrid Rose, TBS-Beraterin und Expertin, zum Trend-Thema „Agiles Arbeiten“.

Sigrid, Du bist TBS-Beraterin und verbindest eine sozialwissenschaftliche Ausbildung mit einer profunden IT-Expertise. Agiles Arbeiten ist in aller Munde. Was versteht man darunter?

Agilität bezeichnet die Fähigkeit eines Unternehmens oder einer Behörde, in Zeiten von Wandel und Unsicherheit flexibel, initiativ und anpassungsfähig zu handeln. Unternehmen wollen mit rechtzeitigen Veränderungen ihren Markterfolg sichern. Dabei kommt es nicht darauf an, ob bestimmte agile Organisationsformen oder Techniken eingesetzt werden, sondern auf die Haltung: Um schneller und zu besseren Entscheidungen zu kommen, werden Verantwortung und Entscheidungskompetenzen in die agilen Teams delegiert. In der Praxis organisieren die agilen Teams ihre Arbeit in hohem Maße selbst, arbeiten eng mit Kund*innen zusammen und liefern in kurzen Intervallen ihre Ergebnisse. Dabei sind sie in Rahmenbedingungen eingebunden, die vom Unternehmen vorgegeben werden.

Ist Agilität ein Modebegriff oder handelt es sich um einen dauerhaften Trend?

Unternehmensberatungen propagieren das Konzept der Agilität und erwecken den Eindruck, nicht agile Unternehmen würden abgehängt. Tatsächlich sind hierarchisch streng organisierte Unternehmen immer weniger in der Lage, auf vielfältige Anforderungen und wechselnde Marktbedingungen zu reagieren. Bei der Verlagerung dieser Aufgabe in die Arbeitsteams handelt es sich daher um eine dauerhafte Entwicklung.

Dann ist das eine Entwicklung, über die Beschäftigte sich freuen können?

Bei Agilität ist neben Vertrauen viel von „Empowerment“ der Teams die Rede, also von Selbstorganisation der Teams und von selbstbestimmtem Arbeiten. Viele Beschäftigte freuen sich darauf, mit ihrem Team gemeinsam was schaffen zu können und erhoffen sich eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. In der Praxis ist agiles Arbeiten jedoch mit Gesundheitsrisiken verbunden. Untersuchungen haben ergeben, dass viele agil Arbeitende regelmäßig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen und über zwei Drittel einer starken oder sogar sehr starken Belastung ausgesetzt sind. Dies führt zu Stresssymptomen. Für die Betroffenen wird es immer schwieriger, in ihrer arbeitsfreien Zeit gedanklich von der Arbeit loszulassen und abzuschalten.

Wie kann es sein, dass die Arbeitsbelastung steigt, obwohl eigenverantwortlich gearbeitet wird?

Das Prinzip der agilen Arbeit, ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten zu können, wird in der betrieblichen Praxis oft nicht eingelöst. Wenn die Personaldecke zu dünn ist, sehen sich die Beschäftigten gefordert, mehr zu arbeiten, um ihrer gestiegenen Verantwortung gerecht zu werden. Aber auch das Agilitätskonzept selbst kann zu psychischen Belastungen führen und die Gesundheit von Beschäftigten gefährden: Denn die Teammitglieder müssen laufend Transparenz über ihre eigenen Leistungen schaffen. Unter Konkurrenzbedingungen führt dies zu Mehrarbeit und Selbstüberforderung.

Was empfiehlst du den Interessenvertretungen?

Um ihre Mitbestimmung wirksam wahrnehmen zu können, sollten sich Interessenvertretungen umfassend mit dem Konzept der Agilität auseinandersetzen – auch mit den belastenden Wirkungen der Gruppendynamik in agilen Teams. Voraussetzung für die Einführung agiler Arbeit sollte der Abschluss einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung sein. Diese sollte wirksame und zugleich durchsetzbare Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor Überlastung enthalten.

Das Motto: Agile Arbeit braucht Gestaltung.