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Arbeitszeit gesundheitsgerecht gestalten – praxisgerechte Instrumente für die Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“.

Betriebsräte und Unternehmen, die ihre Arbeitszeitmodelle gesundheitsgerecht weiterentwickeln wollen, stehen vor der Herausforderung, Belastungsfaktoren zu identifizieren. Das Arbeitsschutzgesetz sieht hierfür die Gefährdungsbeurteilung vor. Laut § 5 sind alle Gefährdungen zu beurteilen, denen Beschäftigte im Betrieb unterliegen. Die Realität zeigt jedoch, dass viele Themen in den betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen unterrepräsentiert bleiben. Dazu gehört u. a. auch die Arbeitszeitgestaltung. Deshalb arbeiten wir in unseren Beratungen und Seminaren daran, Interessenvertretungen und verantwortliche Leitungskräfte für die Thematik zu sensibilisieren.

Eine neue Methode zur Sensibilisierung und Gefährdungsbeurteilung für das Thema „Arbeitszeit“

Häufig fehlen jedoch den Verantwortlichen kleiner und mittlerer Unternehmen handhabbare Methoden für die Umsetzung insbesondere der Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“. Deshalb hat die TBS NRW selbst ein Verfahren entwickelt, das sowohl als Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“ als auch als Instrument zur Sensibilisierung genutzt werden kann. Zielsetzung bei der Konzeptentwicklung war es, gemeinsam mit betrieblichen Akteur*innen die unterschiedlichen Belastungsfaktoren zur Arbeitszeit im Betrieb zu betrachten und hinsichtlich ihres Risikofaktors für potenzielle Belastungsfolgen zu bewerten.
Grundlage für das von uns entwickelte Verfahren bildete die Broschüre „Arbeitszeit gesund gestalten“, die das Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (LIA.nrw) in Kooperation mit der Bezirksregierung Düsseldorf erarbeitet hat. Für die Beratung in Betrieben und zur praktischen Erprobung in Seminaren haben wir aus der Broschüre die Belastungsfaktoren zur Arbeitszeit extrahiert und mit Fragen, die in einer Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“ gestellt werden können, ergänzt. Daraus ist ein umfangreicher Fragenkatalog mit einer Ampel-Bewertungsskala und einem anhängenden Maßnahmenplan entstanden.

In der gemeinsamen Diskussion zeigt sich die Vielschichtigkeit des Themas

In einem zweiten Schritt ging es nun an die Erprobung dieses Instrumentariums. Die erfolgte in Seminaren und Beratungen mit Teilnehmenden aus produzierenden Betrieben, dem öffentlichen Gesundheitssektor und Angestelltenbereichen unterschiedlicher Branchen. Als besonders hilfreich hat sich die gemeinsame Diskussion zu den einzelnen Belastungsfaktoren erwiesen. Denn in dieser kommen sehr unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen ans Tageslicht. Dies hat bei vielen Beteiligten erst die Erkenntnis reifen lassen, wie vielfältig das Thema Arbeitszeitgestaltung ist und wie viele Fallstricke für die Gesundheit es tatsächlich geben kann.

Dies zeigt sich beispielhaft bei der Rettungswache der Stadt Bünde. Bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“ wurde der Fragenkatalog für die gemeinsame Diskussion zwischen Leitung und Personalrat genutzt. Dabei wurden die Belastungsfaktoren des bestehenden Arbeitszeitsystems identifiziert und Risiken initial bewertet. Die abschließende Bewertung der gesundheitlichen Risiken durch Beanspruchungen und Belastungsfolgen erfolgte gemeinsam zwischen Leitung und Interessenvertretung anhand einer Ampel-Skala. Eine kurze Beschäftigtenbefragung bestätigte zudem die identifizierten Gefährdungen.

Felix Heidenreich, Leiter des Rettungsdienstes, betont die hohe Praktikabilität des Verfahrens: „Mit dem Fragenkatalog war die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung zur Arbeitszeit aus meiner Sicht schnell, unkompliziert und zielgerichtet durchführbar. Mit dem Ergebnis ist es uns gelungen, Gefahrenschwerpunkte u. a. bei der Dienstplangestaltung zu erkennen und wirksame Maßnahmen zur Beseitigung und Überprüfung zu entwickeln.“

Das TBS-Verfahren: Belastungen reduzieren, Ressourcen stärken

Ein weiterer Vorteil der Bearbeitung von Gefährdungsfaktoren und -risiken im Dialog besteht darin, gleichermaßen Maßnahmen zur Verringerung der Belastungen als auch solche zur Stärkung ausgleichender Ressourcen in den Blick nehmen und mit den betrieblichen Gegebenheiten abgleichen zu können. So wurden die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“ in bestehende Veränderungsprozesse zur Arbeitszeit eingespielt. Diese beteiligungsorientiert durch Workshops mit Beschäftigten zu gestalten, hat sich ebenfalls als hilfreich erwiesen, um langfristig gesunde Arbeitszeiten in den Betrieben zu gestalten.

Die bisherigen Erprobungen des erarbeiteten Vorgehensmodells mit dem Fragenkatalog in den unterschiedlichen Settings hat zweierlei gezeigt: Zum einen muss noch viel Aufklärungsarbeit über die Gefährdungsfaktoren von Arbeitszeitgestaltung erfolgen, zum anderen benötigen Unternehmen und Interessenvertretungen Unterstützung, diese Gefährdungsfaktoren im Betrieb anzugehen. Die Unterstützung durch das von der TBS NRW erarbeitete Verfahren mit einem Fragenkatalog zur innerbetrieblichen Diskussion in Workshops und Diskussionsrunden hat sich dabei schon jetzt bewährt.

Infografik "Anwendungsbereiche Verfahren der   TBS NRW zur Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“"