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Digitalisierung erfordert aktive Beteiligung der Beschäftigten

Fragen an Dr. Johanna Renker, TBS-Beraterin, Spezialistin für Digitalisierungsprozesse in Unternehmen

Johanna, die Digitalisierung ist in aller Munde. Was versteht man eigentlich unter Digitalisierung?

Digitalisierung ist – nach einer Definition des Wirtschaftsinformatikers Prof. Dr. Oliver Bendel – die Veränderung von Prozessen, Objekten und Ereignissen, die die durch eine zunehmende Nutzung von digitalen Geräten erfolgt. Digitalisierung ist kein rein technischer Prozess, sondern immer mit Veränderungen verbunden. Übrigens befinden wir uns bereits in der 4. Industriellen Revolution. Das bedeutet: Ökonomische Transformationsprozesse hat es schon immer gegeben.

Wie schätzen Sie diese Veränderungen ein? Ist der Einsatz digitaler Technologien aus Ihrer Sicht Fluch oder Segen?

Das kommt ganz darauf an, welche Technologien eingesetzt werden und auf welche Akzeptanz diese bei den Beschäftigten stoßen. Häufig ist der Impuls zur Einführung digitaler Technologien sinnvoll, scheitert dann aber häufig an der Umsetzung.

Können Sie das erläutern?

Ganz wichtig ist es, den Veränderungsprozess von Beginn an strategisch zu begleiten. Da der Betriebsrat ohnehin in den Prozess eingeschaltet werden muss, sollte das Unternehmen Mitbestimmungs-Meilensteine definieren. Auch ist es wichtig, die Mitarbeiterschaft frühzeitig zu informieren und sie in den Prozess einzubinden. So können ausgewählte Beschäftigte Prototypen auf ihre Praxistauglichkeit prüfen, um sie bei Bedarf verbessern zu können. Zudem sollten neue Technologien in Hinblick auf psychische und andere Belastungen betrachtet werden. Diese gilt es einzuschätzen und gegebenenfalls durch Ausgleichsmaßnahmen zu kompensieren. Auch ist ein passgenaues Schulungsprogramm erforderlich. Kurz: Durch klare Kommunikation, frühzeitige Einbindung, umsichtige Belastungsprävention und gezielte Schulungen lässt sich die Akzeptanz des Changeprozesses deutlich steigern.
Und dennoch bleibt die Angst, dass der eigene Arbeitsplatz durch den Digitalisierungsprozess wegrationalisiert wird. Deshalb sollte Digitalisierung immer das Ziel verfolgen, Beschäftigte bei ihrer Arbeit zu unterstützen und nur Arbeiten zu ersetzen, die als Belastung für Beschäftigte empfunden werden. Hier gibt es natürlich individuelle Unterschiede, aber meistens sind dies monotone Tätigkeiten. Im Kern soll die Digitalisierung den Beschäftigten den Rücken freihalten, um sich auf wichtige Tätigkeiten konzentrieren zu können. Sicherlich gibt es da fließende Übergänge. In jedem Fall sollten sich die digitalen Technologien nach den Bedürfnissen der Beschäftigten richten.

Häufig ist die Einführung digitaler Systeme sowohl für den Arbeitgeber wie für den Betriebsrat Neuland. Wie können beide Seiten den Anforderungen genügen, die Sie im Sinne der Beschäftigten an den Prozess stellen?

Bis heute ist die Implementierung solcher Systeme häufig die Sache von IT-Spezialisten. Um die Folgewirkungen auf die Beschäftigten richtig einschätzen zu können, ist jedoch Sachverstand auch aus Soziologie und Psychologie erforderlich. Und nicht zuletzt ist Expertise nötig, die sich mit zwei weiteren wichtigen Themen befasst: mit der so genannten „Usability“, also der Frage, ob die geplante Technologie ergonomisch auf die Menschen zugeschnitten ist. Zum zweiten mit dem Nutzererlebnis, also unter anderem mit der Frage, wie man Elemente einsetzen kann, die die Motivation beim Umgang mit der neuen Technologie erhöhen.

Warum sollten Unternehmen diesen Aufwand betreiben, zumal insbesondere das Thema der psychischen Belastung auch heute noch zuweilen mit Wehleidigkeit identifiziert wird?

Das ist ein Engagement, das sich für die Unternehmen auszahlt. Denn digitale Technologien sind häufig mit einer hohen Investition verbunden. Sollen sie ihr ganzes Potenzial ausschöpfen, ist eine möglichst hohe Akzeptanz bei den Beschäftigten erforderlich. Und das geht nur, wenn Geschäftsführung, die Beschäftigten und Betriebsrat gemeinsam eine menschenfreundliche Arbeitswelt gestalten.