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Energiepreisexplosion und Lieferkettenstörungen – Handlungsoptionen für die Interessenvertretung

TBS-Beraterin Stefanie Marx über Gestaltungsspielräume und Möglichkeiten der Beteiligung in der Krise  

Zahlreiche Betriebe sind gegenwärtig mit den Folgen von zwei parallel verlaufenden Krisen konfrontiert – zum einen mit den durch die Corona-Pandemie verursachten Lieferkettenstörungen bei der Beschaffung von Rohstoffen und Materialen für die Produktion, zum anderen mit der durch den Krieg in der Ukraine bedingten Explosion der Preise für Gas und andere fossile Energieträger. Das stellt insbesondere energieintensive Betriebe vor große Herausforderungen. Viele stehen durch den rasanten Anstieg der Energiepreise und der steigenden Inflation vor massiven Schwierigkeiten. Seit Juni spitzt sich die Lage immer weiter zu.

Dominoeffekt durch wirtschaftliche Verflechtungen

Aufgrund der hohen Gaspreise müssen sich derzeit viele Betriebe mit der Frage beschäftigen, ob sie die Produktionskapazitäten senken. Allein dreißig Prozent der Betriebe, die zur chemischen Industrie gehören, sind in Nordrhein-Westfalen angesiedelt. Zu ihnen zählen auch viele kleine und mittlere Betriebe. Viele der Industriezweige sind eng miteinander verbunden und voneinander abhängig. Wirken sich die Energiepreiskrise oder auch die Lieferkettenstörungen auf einen Industriebereich aus, überträgt sich das insgesamt auf alle anderen. Die enormen Preisbelastungen verursachen somit einen Dominoeffekt für praktisch alle Branchen: für das verarbeitende Gewerbe, die Logistik, den Groß- und Einzelhandel bis hin zum Dienstleistungssektor.

Zugleich erschweren die Preisexplosion, Lieferschwierigkeiten und Personalknappheit die in der Transformation notwendige Umstellung auf erneuerbare Energien, klimafreundliche Anlagen oder den Übergang zu kosteneinsparenden Systemen der Kreislaufwirtschaft. Viele Anpassungsprozesse zur Steigerung der Krisenfestigkeit, z. B. die Rückverlagerung der Herstellung von Vorprodukten in den eigenen Betrieb, das sogenannte Insourcing, ist aufwändig und nicht über Nacht zu realisieren.

Proaktiv werden, Beschäftigung sichern

Inzwischen stellen sich immer mehr Interessenvertretungen kleinerer und mittlerer Betriebe zentrale Fragen: Was bedeutet das für die Beschäftigten und wie lässt sich Beschäftigungssicherung für gute, zukunftsfähige Arbeit umsetzen? Welche Handlungsoptionen gibt es? Und: Wie schafft man es, kurzfristiges Krisenmanagement mitzubestimmen und gleichzeitig langfristige Transformationsprozesse im Auge zu behalten?

Umso wichtiger ist es jetzt für die betrieblichen Interessenvertretungen, ihr Recht wahrzunehmen, den Arbeitgeber:innen Vorschläge zur Beschäftigungssicherung zu unterbreiten und diese miteinander zu erörtern (§ 92a BetrVG). Gemeinsam mit Expert:innen direkt aus der Belegschaft, der Einbindung des Wirtschaftsausschusses, aber auch durch externe Beratung können betriebliche Interessenvertretungen bereits früh die Weichen stellen, Beteiligungsprozesse zu fördern und so alternative Konzepte für neue Wege der Beschäftigungssicherung und für die Zukunft gut aufgestellter Betriebe zu entwickeln.

Vielfältige Handlungsoptionen für die Interessenvertretung

Die Bildung eines Krisenstabs ist eine Möglichkeit, die drängendsten Probleme rasch anzugehen und erste Lösungsansätze zu erarbeiten. Die Situation der einzelnen Betriebe und die daraus resultierenden Problemstellungen, mit denen sie jetzt umgehen müssen, sind sehr verschieden. Je nach Lage des Betriebes gibt es vielfältige Handlungsoptionen für die betrieblichen Interessenvertretungen, die auf unterschiedlichste Weise miteinander verknüpft werden können: Die kurzfristige Einführung von Kurzarbeit ist ein Instrument der Beschäftigungssicherung, über das Betriebsräte beraten und die Bedingungen mit den Arbeitgeber:innen verhandeln und festlegen (§ 87 (1) Nr. 3 BetrVG). Ist ein Betrieb von Einschränkungen oder gar der Stilllegung ganzer Betriebsteile, zum Beispiel durch Produktionsabsenkungen, betroffen, so gilt auch hier das Recht auf Mitbestimmung und das Hinzuziehen externer Berater (§ 111 BetrVG). Ebenso hat der Betriebsrat das Recht, Vorschläge zur Energieeinsparung einzubringen, die neben Kostensenkungen zugleich eine Maßnahme des betrieblichen Umweltschutzes darstellen und auch mittelfristig Wirkung zeigen können.
Wichtig hierbei: Bei der kurzfristigen Bewältigung der akuten Krise so zu handeln, dass die langfristigen Veränderungen mitgedacht werden.