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Gute Arbeit in der Pflege – das Beispiel Einführung des TVöD

Die Reichsbund freier Schwestern gGmbH betreibt in NRW mehrere Altenpflegeeinrichtungen und beschäftigt ca. 800 Mitarbeitende. Die TBS-Beraterin Kathrin Drews begleitet den Wirtschaftsausschuss des Gesamtbetriebsrates bereits seit mehreren Jahren bei seiner Arbeit. So unterstützt sie als Sachverständige das Gremium in den quartalsweise stattfindenden Wirtschaftsausschusssitzungen, in denen die Betriebsparteien über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens beraten – eine Lage, die durch die schwierigen Rahmenbedingungen in der Pflegebranche geprägt ist. Im folgenden Gespräch erörtert sie mit Wahid Wahab (Geschäftsführer der Reichsbund freier Schwestern gGmbH) und Gregor Swolany (Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Reichsbund freier Schwestern gGmbH), wie es zur Einführung des TVöD anstelle des bisherigen Haustarifs kam.

Interview mit Geschäftsführer und Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Reichsbund freier Schwestern gGmbH durch TBS-Expertin Kathrin Drews

Kathrin Drews: Welchen Anlass gab es, anstelle des bisherigen Haustarifvertrags den TVöD anzuwenden?

Wahid Wahab: Der Anlass, unseren Haustarif aufzulösen und stattdessen unsere Mitarbeitenden nach dem TVöD zu entlohnen, war das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – umgangssprachlich auch „Pflegetariftreuegesetz“ genannt.

Mehr Anerkennung, besseres Gehalt, größere Selbstbewusstsein
 

Kathrin Drews: Zu welchen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen hat die Umstellung auf den TVöD geführt?

Gregor Swolany: Die Umstellung hat zu großen Verbesserungen geführt. Die Mitarbeitenden haben sich deutlich mehr wertgeschätzt und aufgewertet gefühlt. Die Belegschaft ist zu mir gekommen und hat gesagt, jetzt spüre ich, welchen Wert meine Arbeit hat. Das Selbstbewusstsein der Mitarbeitenden ist enorm gestiegen. Auf allen Ebenen der Betriebskultur hat es Verbesserungen durch die Umstellung auf den TVöD gegeben.

Wahid Wahab: Neben diesen Aspekten hat die Umstellung auf den TVöD für die Mehrheit der Beschäftigten zu einem enormen Gehaltssprung geführt. Diese positive Veränderung bei den Pflege- und Betreuungskräften hat allerdings bei den Mitarbeitenden, für die das Pflegetariftreuegesetz keine Bezahlung nach Tarif fordert, zu einem Ungerechtigkeitsempfinden geführt. Das hat etwas Unruhe im Betrieb zu Beginn der Umstellung verursacht. Dies versuchen wir abzufangen. Wir haben den nicht vom TVöD erfassten Mitarbeitenden eine Lohnerhöhung angeboten und versuchen in den laufenden Pflegesatzverhandlungen eine Ausweitung der Tarifentlohnung auf alle Mitarbeitenden zu erreichen.
Tarifwechsel im Schulterschluss: Arbeitgeber und Betriebsrat ziehen an einem Strang

Kathrin Drews: Welche Herausforderungen sind Ihnen im Laufe des Übergangs begegnet?

Wahid Wahab: Anfänglich war es schwierig für unsere Verwaltung, die Eingruppierung in den TVöD flächendeckend korrekt vorzunehmen. Wir haben uns dabei von den Dachverbänden etwas alleine gelassen gefühlt. Gelöst haben wir die Aufgabe, indem wir uns mit den Einrichtungsleitungen und den Betriebsräten vor Ort zusammengesetzt haben. Zusammen haben wir die Zuordnung der Mitarbeitenden und ihre Eingruppierung möglichst passend zur TVöD-Struktur vorgenommen. So sehr wir die gesetzliche Grundlage des Pflegetariftreuegesetzes und die damit verbundene Refinanzierung der Lohnerhöhung begrüßen, so sehr fühlten wir uns bei der Umsetzung „ins kalte Wasser geworfen“. Den Übergang in das neue Tarifsystem mussten wir eigenständig und ohne Vorkenntnisse bewältigen.

Kathrin Drews: In welcher Weise wurde im Umstellungsprozess die Mitbestimmung umgesetzt?

Gregor Swolany: In den einzelnen Einrichtungen haben die Standort-Betriebsräte die Umstellung auf den TVöD begleitet und standen dazu im engen Austausch mit den Standortleitungen. Bis auf wenige Ausnahmen ist der Prozess der Eingruppierung gut gelungen. Lediglich bei einigen Funktionen gab es anfänglich Dissens, wie diese bei der Eingruppierung zu bewerten sind. Zudem haben wir auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Überleitung der Beschäftigten der Pflege in das Vergütungssystem des TVöD abgeschlossen. In dieser ist beschrieben, welche Teile des TVöD übernommen werden und welche nicht.
Ein fairer Lohn ist wichtig – ein gutes Arbeitsumfeld ebenso

Kathrin Drews: Ist das Entgelt nach TVöD bereits auf alle Beschäftigten ausgeweitet?

Wahid Wahab: Wie erwähnt, streben wir dies in den laufenden Pflegesatzverhandlungen an. Merkwürdig ist, dass diese Problematik in der Politik vernachlässigt wurde. Bedenklich ist das vor allem deshalb, weil es problematische Auswirkungen auf die Betriebskultur hat.

Kathrin Drews: Sehen Sie bereits positive Effekte bei der Mitarbeiter*innengewinnung und -bindung?

Wahid Wahab: Ehrlich gesagt, haben wir hier mehr positive Effekte erwartet. Unsere Hoffnung war, dass die Menschen aus den Leiharbeitsunternehmen wieder zu uns als Stammbelegschaft zurückkehren. Dass der Effekt nicht so stark war, ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass das Pflegetariftreuegesetz von heute auf morgen die gesamte Branche betraf.

Gregor Swolany: Die Tarifanlehnung hat zwar die oben beschriebenen positiven Effekte gezeitigt. Aber dass wir nun nicht „überschwemmt“ werden von Bewerbungen, zeigt, dass es auf mehr ankommt als nur „mehr Geld“. Es ist wichtig, auf allen Ebenen gute Arbeitsbedingungen herzustellen, wir müssen es schaffen, ein gutes Arbeitsklima herzustellen, in dem man sich wohlfühlt und gerne zur Arbeit kommt. Dazu benötigen wir auch mehr Personal, sprich: am „Personalschlüssel“ muss etwas verändert werden; auch das ist politisch zu steuern. Die Kolleginnen und Kollegen sind aus Überzeugung und Freude am Beruf in der Pflege tätig. Dieses Mehr an Geld hat den Mitarbeitenden viel Bestätigung gegeben und lässt sie sich wertgeschätzt fühlen. 

Kathrin Drews: Lieber Herr Wabab, lieber Herr Swolany, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Fazit

Entgeltgerechtigkeit gemeinsam gestalten. Wir unterstützen euch.
Das beschriebene Beispiel zeigt, wie es gelingen kann, das Thema „Entgelt“ gut und mitbestimmt im Betrieb zu regeln. Dabei ist es wichtig, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu analysieren, die Arbeitsaufgaben zu beschreiben und die Beschäftigten einzubeziehen (ggf. durch Arbeitsplatzbegehungen), um ein Gesamtbild der Arbeitsorganisation zu entwickeln. Die TBS unterstützt zahlreiche Interessenvertretungen bei einer derartigen Gestaltung der Entgeltstrukturen.