Hinweisgebersysteme in der Mitbestimmung

Der Bundestag hat im Dezember 2022 das „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (kurz: Hinweisgeberschutzgesetz oder „HinSchG“) beschlossen. Am 10. Februar scheiterte der Entwurf jedoch im Bundesrat. Die EU-Whistleblower-Richtlinie (EU 2019/1936) gilt weiterhin - und wird in der einen oder anderen Form auch auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Diese Richtlinie sieht bereits seit 2019 vor, dass Hinweisgebern in Unternehmen oder Behörden sowohl interne als auch externe Stellen offenstehen. Sie sind nach einer Meldung von Missständen oder Gesetzesverstößen vor Diskriminierung zu schützen. Dazu zählen etwa Suspendierungen, Entlassungen, Gehaltsminderungen, Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses, Mobbing oder Nötigung.

Auch wenn das HinSchG noch nicht in Kraft getreten ist, lässt sich bereits eine Welle von Hinweisgebersystemeinführungen beobachten. Mit unternehmenseigenen Hinweisgebersystemen werden schließlich Anreize dafür schaffen, dass sich Hinweisgeber vor einer Meldung an eine Behörde oder die Öffentlichkeit zunächst an hauseigene Meldestellen wenden. Für das Unternehmen mag durch die interne Klärung eines Missstandes ein Reputationsschaden abgewendet werden. Die Behörden freuen sich möglicherweise auf Entlastung. Dass so unter Umständen auch Straftaten innerhalb von Unternehmen vermehrt unter den Teppich gekehrt werden könnten, steht auf einem anderen Blatt. Was aber bedeutet so ein Hinweisgebersystem für die Mitbestimmung im Betrieb?

Betriebliche Interessenvertretungen sind im Idealfall ein Sprachrohr der Beschäftigten, nehmen regelmäßig Hinweise über Missstände im Unternehmen auf und vertreten die Ansprüche der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber - etwa Beschwerden im Sinne des §85 BetrVG. Betriebsräte haben außerdem den gesetzlichen Auftrag über die Einhaltung der Gesetze und Vereinbarungen zum Schutz der Beschäftigten zu wachen. Geben Kolleginnen oder Kollegen im Vertretungsbereich des Betriebsrates Hinweise auf Missstände im Betrieb, hat dieser zu kontrollieren, dass die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern zu ihrem Schutz vor Diskriminierung Anwendung finden. Handelt es sich um einen Hinweis, der Beschäftigte eines Fehlverhaltens oder einer Straftat beschuldigt, ist der Betriebsrat eventuell zusätzlich gefordert: Er hat über eine Verhaltenskontrolle mitzubestimmen und muss folglich an der weiteren Untersuchung des Sachverhaltes beteiligt sein. Lediglich wenn sich leitende Angestellte untereinander Fehlverhalten oder Straftaten vorwerfen, kann der Betriebsrat unter Umständen keine direkte Mitbestimmung geltend machen.

Diesen gesetzlichen Aufgaben wird eine betriebliche Interessenvertretung nur gerecht werden können, wenn sie an der internen Prüfstelle beteiligt ist. Diese Stelle hat zunächst zu beurteilen, ob und wie den Hinweisen nachgegangen werden soll. Dafür sollten die Betriebsparteien erstens einen Verhaltenskodex so präzise formulieren, dass die Beurteilung von Verstößen nicht zur Willkürentscheidung verkommt. Um eine Verhältnismäßigkeit im internen Untersuchungsverfahren zu ermöglichen, brauchen die Betriebsparteien zweitens ein mehrstufiges Eskalationskonzept, das Kriterien für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Hinweisen sowie für die Schwere der Vorwürfe einbezieht. Schließlich drohen nicht nur offene Mediationsgespräche, sondern potentiell auch Mitarbeiterkontrollen mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

Vor diesem Hintergrund ist der Umgang mit anonymen Hinweisen nicht pauschal zu bewerten. Auf der einen Seite plant der Gesetzgeber die Möglichkeit zur anonymen Abgabe von Hinweisen bei unternehmensinternen Meldesystemen früher oder später vorzuschreiben, was den größtmöglichen Schutz der Hinweisgeber zur Folge hat. Auf der anderen Seite lädt diese Möglichkeit zum Missbrauch ein. Anonyme Hinweise sind schnell fabriziert und sollten kein zulässiger Anlass für Mitarbeiterkontrollen sein.

Der Gesetzgeber regt die Möglichkeit an, Anwälte als Ombudspersonen mit dem Betreiben einer Meldestelle zu beauftragen. Das ist eine gute Idee, um die Anonymität von Hinweisgebern zu wahren. Falls hier eine Vorsortierung oder auch eine Bewertung der Relevanz von Hinweisen vorgenommen werden soll, müssen die Vorgaben den Mitbestimmungsvorbehalt des Betriebsrates berücksichtigen. Spätestens bei der Frage, wie ein unternehmensinterner Aufklärungsprozess aussehen kann und wer ihn durchführen soll, muss sich die Ombudsperson jedoch an ein unternehmenseigenes Gremium mit Handlungskompetenzen wenden und die (anonymisierten) Hinweise weiterreichen. An diesem Punkt ist entscheidend, dass der betrieblichen Interessenvertretung die Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben ermöglicht wird und so die Interessen beider Betriebsparteien berücksichtigt werden. Es darf einer rein arbeitgeberseitig bestellten Compliance-Abteilung nicht gestattet sein, den Betriebsrat bei Bedarf zu übergehen. Deshalb sollte sich die Ombudsperson mit den anonymen Hinweisen direkt an ein Komitee richten, dem beide Betriebsparteien angehören.