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Mein Vierteljahrhundert als Berater bei der TBS

Ein Blick zurück – ein Dankeschön – und eine Empfehlung

Als im Herbst 1994 die S-Bahn im Hauptbahnhof Mönchengladbach einrollt, bieten sich dem Berliner Schwaben erste Eindrücke: ein damals neues Vitus-Center, hell-freundliche Räume der TBS-Regionalstelle Niederrhein, die Zeitung als Nachbarn, die WZ. Im Flur Plakate: Rauchverbot, ein Plakat der IG Medien: „Wer mit der Zeit geht, lässt sie stehen“. Mein Vorstellungsgespräch. Es geht zur Sache, hart aber fair, bei Filterkaffee und Keksen. Schnell ist erkennbar: Das sind Kolleg:innen. Der Wissenschaftler in mir sieht – deutlicher als im Fraunhofer-Institut bisher – als Aufgabe die Förderung des Faktors Arbeit. Gut ist, was den Arbeitenden und somit der Mehrheit der Bevölkerung dient. Eine ethisch motivierte Arbeit. Womit dann bald klar wird: ich bin gekommen, um zu bleiben!

Die Arbeit ist im Wandel. Das beherrschende Thema der 1990er Jahre ist der Einsatz von Technik. Arbeitsmaschinen übernehmen auch Informationsverarbeitung. Mehr Rechner kommen, nach der Handarbeit wird die Kopfarbeit auf diese Technik übertragen. Computer-integrated Manufacturing - CIM – die rechnerintegrierte Fertigung hebt an, lebendige Arbeit nochmals drastisch zu verändern, auch zu ersetzen. Wo statt Kopf und Hand von Beschäftigten nun Programme auf Lochstreifen die Maschine steuern, die nach Gebrauch abgenommen, eingepackt und ordentlich verstaut werden müssen, wo an anderer Stelle bei einem Tippfehler ein Brief per Tipp-Ex korrigiert oder gar neu geschrieben, korrekturgelesen, eingepackt und zur Post getragen werden muss, dort übernehmen mehr und mehr Computer mit Festplatten und Druckern solche Arbeitsaufgaben. Und neben dem Kabel als Übertragungsmedium kommt immer mehr Funk, und mehr und mehr zudem die Verbindung der Geräte untereinander, die Vernetzung, auch von Personen, im World Wide Web, dem Internet. Und die Technik wird mobiler, wie auch die Beschäftigten, die sie anwenden, auch automobiler. Die Programme werden komplexer, interaktiver, sogar lernfähig: Die Aufgabe, selbst knifflige Entscheidungen zu treffen, wird zunehmend automatisierbar und auf AI (Artificial Intelligence – deutsch: KI, „künstliche Intelligenz“) oder Systeme zur algorithmischen Entscheidungsfindung (ADM - algorithmic decision making) übertragen.

Bereits von Anfang an im Fokus: Die Humanisierung der Arbeit

Humanisierung der Arbeit ist hier ein Hauptthema von Anfang an, und, mit Gruppen- und Teamarbeitsformen, auch die Kooperation von Menschen – unterstützt durch passende Technik und Gestaltung der Organisation. Ganzheitliche Produktionssysteme nach den Toyota-Prinzipien verändern kontinuierlich und fortschreitend den Aufbau der Betriebe hin zu – auch globalisierten - Produktionsnetzwerken und zu Arbeitsprozessen, Lieferketten und Kreisläufen. Die Biologie von Umwelt und Arbeitenden, Ökologie- und Gesundheitsthemen werden wichtiger, weiten den Blick vom Einzelphänomen hin zum Zusammenhang und zu den Wechselwirkungen. Hier ging die TBS früh voran und legte Anfang der 1990er Jahre mit dem ABETO-Verfahren das weltweit erste Verfahren zur Analyse und Gestaltung von Bildschirm-Arbeitsplätzen vor, welches wir in den Betrieben zwecks Empfehlung von Maßnahmen einsetzen.

Denn die Arbeit und somit die Beschäftigten sind immer, bei jeder Veränderung, einerseits Objekte der Veränderung, aber sie können auch Subjekte sein und selbst mitgestalten: `Willst Hammer oder Amboss sein´? Immer haben sie die veränderten Aufgaben dann zu bewältigen. Sie müssen lernen, ihre Kompetenzen passgenau auf- und umbauen. Ebenso die Betriebe und Unternehmen. Die TBS unterstützt durch Bildung und Beratung dabei, die Auswirkungen der Arbeit, z. B. auf die Gesundheit oder die Bewertung der neuen Arbeitsaufgaben und das künftige Entgelt zu erkennen. So beraten wir neben der Technikeinführung mit Leistungs- und Verhaltenskontroll-, Gesundheits- und Datenschutzproblematik und Arbeitsgestaltung z. B. auch bei der Implementierung des neuen Entgelt-Rahmenabkommens ERA der IG Metall. Oder wir beraten – in bestimmten Fällen und in enger Abstimmung mit der zuständigen Gewerkschaft – auch zur Arbeitsbewertung im Dienstleistungssektor.

Betriebe werden in der Regel durch Projekte verändert, auch in den modernen, agilen Formen. Die Interessenvertretungen – Gewerkschaften, Betriebsräte, Personalräte – gehen entweder voran, gehen mit oder sie laufen hinterher. Über meine gesamte Dienstzeit haben wir in der TBS passendes Handwerkszeug besonders für die ersten beiden Varianten entwickelt. Dies haben wir selbst auch in Form von Projekten erarbeitet, die Titel sprechen für sich. Ich selbst war in wechselnden Rollen als Projektmitarbeiter, -leiter und -koordinator bei der folgenden, chronologisch geordneten Auswahl dabei: „Qualitätsmanagement für GewerkschafterInnen“, „Reorganisation von Unternehmen am Niederrhein (regioRUN)“, „Beteiligungsinstrumente für Betriebsräte in Umstrukturierungsprojekten (BiBU)“, „Früherkennung betreiben, Alternativen entwickeln, Netzwerke bilden (FAN)“. Besonders erwähnt sei „Betriebsräte in Transformationsprojekten (TRAFO—BR)“. Hier haben wir 1999 nicht nur die erste Projekt-Internetseite der TBS gebaut, sondern auch eine Fülle von „tools“ zur Zielplanung, Kompetenz- und Organisationsentwicklung entwickelt – darunter auch den Betriebsräte-Kooperations-Preis, den ersten deutschen Betriebsräte-Preis, verliehen in Köln 2003. Ein Format, das gute Betriebsratsarbeit belohnen und dazu animieren sollte.

Die Werte der TBS: Zusammenarbeit und Solidarität

Es folgte die „Entwicklung Integrierter Modernisierungs-Prozesse in kleinen und mittleren Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes (IMPROVE)“, und - in Kooperation mit der größten freien Einzelgewerkschaft IG Metall - das Projekt „besser-Zukunft“, wegen der neoliberalen Finanzkrise mit dem wertvollen Leitfaden „Finanzinvestoren entzaubern“. Es kamen NRW-Projekte wie „Orientierungsberatung“ und „Arbeit2020“, und „Ganzheitliche Produktionssysteme 4.0 (GanPS4.0)“, „Kleine und Mittlere Unternehmen 4.0 (KMU4.0)“, und zuletzt im Corona-Jahr 2020 die Entwicklung des „Transformations-Innovations-Navigator (TIN)“ zusammen mit Kai Beutler von bsb aus Köln.

Nicht Wettbewerb und Konkurrenz, sondern Zusammenarbeit und Solidarität sind unsere Werte.  Und immer haben wir – neben den Interessenvertretungen – mit weiteren Partner:innen gut zusammengearbeitet: Hochschulen in Duisburg-Essen, Bochum, Aachen, Betrieben in Unternehmens-Verbundprojekten, mit Fraunhofer-Instituten, Anwälten und Beratungseinrichtungen wie bsb und MA&T, Zeitschriften wie `FIFF Kommunikation´, `Computer und Arbeit´ und `Arbeitsrecht im Betrieb´.

In den Projekten erarbeiten wir Planungshilfen und Werkzeuge zur Mit-Gestaltung künftiger Arbeit in Industrie und Dienstleistung durch die Beschäftigten und ihre Vertretung. Mit Beratung und Bildung dienen wir dem Auftrag der Interessenvertretungen nach Betriebsverfassung und Personalvertretungsrecht. Dabei arbeiten wir – wie die Gremien auch – als Spezialisten vor Ort und ab und zu im Team.

Mit Wehmut und Dankbarkeit werde ich an diese Zeiten unserer Zusammenarbeit denken. Spaß machte sie eigentlich immer, die Arbeit mit Dir und mit Euch, liebe Kollegin, lieber Kollege, sowohl in der TBS wie auch in den Projekten, Betrieben und Verwaltungen. Glückauf!

Projekt
Zukunftszentrum KI NRW

Das Zukunftszentrum KI NRW ist eines von insgesamt elf Zukunftszentren in Deutschland. Zentrale Aufgabe ist die Unterstützung von kleinen sowie mittelständischen Unternehmen (KMU) und Beschäftigten durch kostenlose Beratungs- und Qualifizierungsangebote zu Themen der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz (KI) in der betrieblichen Praxis. Dabei bezieht das Projekt alle Sozialpartner mit ein, um Mitbestimmungsprozesse aktiv zu fördern.

zum Projekt

Projektmitglieder

Förderung

Das Projekt Zukunftszentrum KI NRW wird im Rahmen des Programms Zukunftszentren durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW sowie durch die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert.