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Fachkräftemangel: Das Gesamtpaket macht's!

Der Fachkräftemangel ist ein wichtiges Arbeitsfeld für Betriebsrat & Co. Wenn der Arbeitgeber etwa neue Fachkräfte mit überdurchschnittlichen Löhnen ködert, dann mag das kurzfristig erfolgreich sein. Aber ebenso schnell führt dies zu Verstimmungen innerhalb der Belegschaft. In diesem Interview beschreiben die TBS-Expert*innen Katja Köhler und Jens Göcking die zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten und werfen einen Blick auf die typischen Fallen, die es im Sinne der Belegschaft zu vermeiden gilt.

Liebe Katja, lieber Jens, die Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. Warum sollten sich die Interessenvertretungen hierbei einschalten?


Katja: Aufgrund fehlender Fachkräfte wird die Arbeit in den Betrieben auf weniger Schultern verteilt. Indem die Interessenvertretung das Thema „Fachkräftemangel“ bearbeitet, trägt sie aktiv dazu bei, ihre Kolleg*innen zu entlasten. Denn erhöhter Stress kann zur Unzufriedenheit, inneren Kündigung und Abwanderung beitragen. Gerade im Rahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – harte Mitbestimmung –  gibt es einige Möglichkeiten, um die Bedingungen konkret zu verbessern.

Nun haben die Unternehmen in der Regel professionelle Recruiting-Abteilungen. Was können die Interessenvertretungen an zusätzlichem Input liefern?


Jens: Betriebsrat & Co. bringen eine andere Perspektive mit. Sie sind näher an den Kolleg*innen dran und können deshalb viel zur Problemlösung beitragen. Wenn Krankenzahlen oder die Fluktuation hoch sind, ist es ratsam, hier einmal genauer hinzuschauen. Denn es kann sehr unterschiedliche Gründe hierfür geben. Eine erfolgreiche Strategie im Rahmen der Mitbestimmung sollte darauf setzen, Mitarbeitende zu halten und neue zu gewinnen.

Die Interessenvertretungen sind näher an der Belegschaft dran und können deshalb zur nachhaltigen Lösung des Fachkräftemangels beitragen

Welche unterschiedlichen Ursachen gibt es denn?

Jens: Das reicht vom schlechten Betriebsklima und reduzierten Aufstiegschancen über Vergütungsfragen und branchenbezogenen Imageproblemen bis hin zu einer schlechten Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, z. B. durch starre Arbeitszeiten oder mangelnde Planbarkeit von Arbeitszeiten.

Katja: Hinzu kommt ein Punkt, der alle kleinen und mittleren Betriebe gleichermaßen betrifft: Den Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte mit den großen Unternehmen. Diese haben natürlich oft andere Möglichkeiten, wie eine Haus-Kita oder berufliche Entwicklungsperspektiven. Kleineren Unternehmen sind hier teilweise Grenzen gesetzt, können aber durch mehr Flexibilität und ein familiäres Betriebsklima punkten.

Was kann ein Betriebsrat im Rahmen der Mitbestimmung denn konkret tun?


Katja: Der Betriebsrat sollte alles auf den Prüfstand stellen und Ideen entwickeln, wie die Arbeit attraktiv gestaltet werden kann. Wichtige Anhaltspunkte kann z. B. die Gefährdungsbeurteilung liefern. Diese ist einschließlich der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen verpflichtend durchzuführen und zeigt, wo Belastungen für die Beschäftigten entstehen und Verbesserungen notwendig sind.

In puncto Fachkräftemangel sind Lösungen unter Beteiligung der Belegschaft besonders nachhaltig

Jens: Die Kolleg*innen vor Ort können eigene Sichtweisen einbringen. Sie sind Expert*innen für ihre Arbeit und wissen, wann Prozesse nicht rund laufen oder Technik nicht richtig funktioniert. Für den Erfolg der Maßnahmen ist es wichtig, gemeinsam mit dem Arbeitgeber eine Strategie zu erarbeiten. Eine Strategie, die die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt. Das ist nicht nur die beste Erfolgsgarantie, sondern kann eine Strahlkraft auf potenzielle Fachkräfte ausüben.

Warum sollte der Arbeitgeber daran interessiert sein. Ist es für ihn nicht einfacher, neue Fachkräfte mit einer überhöhten Vergütung zu ködern?


Jens: Tatsächlich gibt es Unternehmen, die ihr Heil genau darin suchen. Das mag auf den ersten Blick Erfolg versprechen. Es kann aber kontraproduktiv sein. Denn das gewohnte Lohngefüge gerät durcheinander, die Unzufriedenheit innerhalb der Belegschaft wächst. Wenn für einige die Vergütung besonders auskömmlich ist, aber das Betriebsklima dafür in den Keller rauscht und andere Fachkräfte kündigen, ist niemandem gedient.

Katja: Die Attraktivität eines Arbeitgebers hängt auch nicht allein von der Vergütung ab. Es gibt zahlreiche Gegenbeispiele. So wechseln Beschäftigte aufgrund von arbeitnehmerfreundlichen Arbeitszeitmodellen, die verlässlich und planbar sind, zu einem neuen Arbeitgeber. Bestes Beispiel ist dafür die Zeitarbeit in der Pflege. Ebenfalls sehr wichtig ist das Thema guter Führung. Führungskräfte tragen eine besondere Verantwortung dafür, dass Arbeit gut organisiert ist und die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden.

Attraktive Rahmenbedingungen und eine wertschätzende Unternehmenskultur wirken besonders magnetisch auf bestehende und potenzielle Arbeitskräfte

Was schlagt ihr also stattdessen vor?


Katja: Es kommt darauf an ein Gesamtpaket für alle Beschäftigten zu entwickeln. Dieses sollte nicht nur finanzielle Anreise enthalten. Mögliche Maßnahmen sind z. B. Eine direkte Beteiligung der Beschäftigten bei der Gestaltung der Arbeit, ein offener und konstruktiver Umgang mit Fehlern, flexibel anpassbare Arbeitszeiten, das Angebot einer vier Tage Woche oder Zuschüsse des Arbeitgebers zu einem Job-Bike, Sportangeboten etc.

Jens: Ebenfalls ist eine wertschätzende Unternehmenskultur zu nennen, die von allen Ebenen im Unternehmen gelebt wird. Auch das Thema Work-Life-Balance nimmt an Bedeutung zu. Zudem können ein vorbildlicher Gesundheits- und Arbeitsschutz oder eine konsequente Weiterbildungspolitik die Wertigkeit eines Arbeitgebers aus Sicht der Beschäftigten – und auch der potenziellen Bewerber*innen – erhöhen.

Katja: In jeden Fall gilt: Wenn die eigene Belegschaft von der Unternehmenspolitik und den Arbeitsbedingungen überzeugt ist, ist das oft die beste Werbemaschine. Dabei können Beschäftigte in ihrem direkten Umfeld Werbung für das Unternehmen machen oder sich an Marketing-Aktionen z. B. auf Social Media beteiligen.

 

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Das Bild zeigt eine comic-artige Infografik, die die Handlungsoptionen von Betriebsrat und anderen Interessenvertretung beim Thema Fachkräftemangel aufzeigt. Es stellt die nachhaltigen den kurzfristigen Maßnahmen gegenüber.
© TBS NRW e. V. | Das Bild zeigt eine comic-artige Infografik, die die Handlungsoptionen von Betriebsrat und anderen Interessenvertretung beim Thema Fachkräftemangel aufzeigt. Es stellt die nachhaltigen den kurzfristigen Maßnahmen gegenüber.