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Insolvenzen: Neue Handlungsmacht für Interessenvertretungen

Interview mit den TBS-Berater*innen Kathrin Drews und Christoph Grüninger sowie mit IGBCE-Fachsekretär Jan Grüneberg über die neue Handlungshilfe zur Unternehmensinsolvenz

 

Liebe Kathrin, lieber Christoph, lieber Jan, bisher ist die große Insolvenzwelle ausgeblieben. Dennoch habt ihr eine umfangreiche Handlungshilfe für Interessenvertretungen zum Thema veröffentlicht. Warum?

Kathrin: Die Handlungshilfe fußt auf einer Vorgängerversion. Zwischenzeitlich hat das Insolvenzrecht eine wichtige Erweiterung erfahren. Im Jahr 2021 ist das Gesetz zur Unternehmensstabilisierung und Restrukturierung – kurz auch StaRUG genannt – in Kraft getreten. Dies haben wir bei der Neuauflage berücksichtigt.

Könnt ihr kurz skizzieren, was sich durch das StaRUG verändert hat?

Jan: Der Kern ist: Wenn Unternehmen in die Schieflage geraten, bietet das StaRUG die Möglichkeit, die Restrukturierung auf den Weg zu bringen, bevor es zur Insolvenz kommt. Das Motto: Revitalisierung geht vor Abwicklung. Ein gutes Zeichen für die Beschäftigten und für die Sicherung von Arbeitsplätzen.
Christoph: Genau. Insolvenz ist in hohem Maße angstbesetzt. Im Grunde verhält es sich wie im Film „Der weiße Hai“. Die Protagonisten bekommen ihn nicht oder nur andeutungsweise zu Gesicht. Und dennoch verursacht er eine Angst, die lähmen kann. Das StaRUG soll da wie ein Gegenmittel wirken. Interessenvertretungen gewinnen Handlungsmacht zurück.

Wie das?

Kathrin: Im Rahmen einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung entscheidet ein Gericht darüber, ob ein Gläubigerbeirat einzusetzen ist. Dieser hat eine Kontrollfunktion hinsichtlich der Restrukturierungsmaßnahmen. Hier wirken auch Arbeitnehmervertrer*innen mit. Sollte bis dato kein Gläubigerbeirat existieren, kann die Interessenvertretung bei Gericht auf die Einsetzung dieses Gremiums hinwirken. Allerdings ist das Gericht nicht daran gebunden.

Und was tun, wenn das Gerichtkeinen Gläubigerbeirat einsetzt?

Jan: Dann verfügt die Interessenvertretung immer noch über Optionen, die ihr das Betriebsverfassungsgesetz gibt. Sie hat Informationsrechte in puncto Personal und wirtschaftliche Angelegenheiten. So legen es die §§ 80 bzw. 106 des Betriebsverfassungsgesetzes fest. Das sind die Hebel, mit denen sie die Restrukturierungsabsprachen in Erfahrung bringen und ein Mitspracherecht bei der Restrukturierungsplanung einfordern kann.

Es kommt also auf das proaktive Handeln der Interessenvertretungen an. Gleichzeitig haben sie in Sachen Insolvenz nur wenig Erfahrung. Wie können sie da zielorientiert im Sinne der Beschäftigten handeln?

Christoph: In der Tat ist die geordnete Restrukturierung im Vorfeld einer Insolvenz ein sehr komplexer Prozess. Deshalb haben wir die Broschüre als Handlungshilfe angelegt. Hinzu kommt: Interessenvertretungen haben das Recht, bei Bedarf externen Sachverstand hinzuziehen. Gerne stehen wir den Interessenvertretungen hierbei gerne zur Verfügung. Ein Anruf genügt.

So erkennen Sie die ersten Anzeichen einer drohenden Insolvenz

Für Interessenvertretungen ist es sehr wichtig, die Vorboten einer drohenden Insolvenz möglichst früh zu erkennen. Zu diesen Anzeichen zählen:

  • Geplante Investitionsvorhaben werden zurückgestellt, technische Geräte oder Anlagen veralten,
  • Lieferanten liefern nur noch gegen Vorkasse oder Barzahlung,
  • die Belegschaft wird „aus heiterem Himmel“ mit dem Wunsch nach Stundenabbau per Freizeitausgleich konfrontiert,
  • die Auslastung des Betriebs bleibt über einen längeren Zeitraum unterhalb ihrer Möglichkeiten,
  • die allgemeine Stimmungslage im Betrieb verschlechtert sich, auch weil der „Buschfunk“, also die vertrauliche Information zwischen Kolleg*innen, sich schnell verbreitet

Es handelt sich hierbei um „Krisensymptome“, die sich über einen längeren Zeitraum zu erkennen geben. Angesichts der aktuellen krisenhaften Phase infolge von Corona und Ukraine-Krieg können sich Insolvenzen mittlerweile ohne lange Vorlaufzeiten einstellen.