In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und Krisen stehen nicht nur Unternehmen, sondern auch deren Mitarbeiter*innen vor großen Herausforderungen. Eine wirtschaftliche Krise kann sich wie eine Krankheit auf die gesamte Organisation auswirken und erfordert daher besondere Aufmerksamkeit und Maßnahmen vom Betriebsrat. In diesem Artikel werden die verschiedenen Aspekte der wirtschaftlichen Schieflage von Unternehmen behandelt. Zudem bietet er Tipps für den Betriebsrat, wie er die Kolleg*innen unterstützen kann.
Unternehmen in der Krise: Ein Leitfaden für den Betriebsrat
So erkennt der Betriebsrat die Phasen einer wirtschaftlichen Krise im Unternehmen
Wirtschaftliche Krisen können sehr gut mit Krankheiten verglichen werden: In der Regel deuten sich Krankheiten an. Man muss sich zwar nicht sofort ins Bett legen, aber man spürt ein Unwohlsein, Antriebslosigkeit und muss aufpassen, dass sich die Symptome nicht verschlimmern. Hinzu kommt, dass es oftmals äußere Einflüsse gibt, die man weder vorhersagen noch beeinflussen kann. Wenn man nichts dagegen unternimmt, kommen die ersten deutlichen Anzeichen. Jetzt ist Handeln angesagt, man muss gegensteuern, zum Arzt gehen und/oder Medikamente nehmen. Wenn die Krankheit richtig ausgebrochen ist, benötigt man definitiv Hilfe von außen. Und wenn man nicht rechtzeitig und richtig behandelt wird, kann man auch sterben.
Bei einer Unternehmens-Krise ist der Verlauf ähnlich. Bei einer Schieflage treten verschiedene Phasen ein, die am Ende sogar zum „Tod“ (Insolvenz) des Unternehmens führen können. Es ist gut, wenn der Betriebsrat diese Phasen möglichst frühzeitig erkennt, um gegenzusteuern.
Phase 1: Strategiedefizite
In der Phase der Strategiedefizite kann das Unternehmen selbst in der Krise noch Gewinne erwirtschaften und konkurrenzfähig sein, es werden aber wichtige Potenziale gefährdet, um auch zukünftig Erfolg zu haben. Typische Symptome für strategische Defizite sind u.a. veraltete Führungsprinzipien, unangemessen geringe Ausgaben für Innovationen, (technisches) Veralten von Produkten oder Dienstleistungen, Vernachlässigung des demografischen Wandels oder einfach nur das „Setzen auf das falsche Pferd“ – also das Ignorieren von Entwicklungstendenzen. Hinzu kommen Einflüsse von außen, die oft unerwartet sind und die Schieflage noch verschärfen können. Hier seien die derzeitigen gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, die Zollpolitik der USA, militärische Konflikte etc. genannt. Unternehmen können solche Entwicklungen nicht beeinflussen, müssen aber darauf reagieren. In dieser Phase ist eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens notwendig – oft allerdings fehlt der Leidensdruck, und eine Unternehmenspolitik des „Weiter so…“ führt in der Regel zur nächsten Phase der Krise.
Phase 2: Ertrags-Krise
In der Phase der Ertrags-Krise wird die unternehmerische Schieflage deutlich sichtbar. Erträge gehen zurück, Verluste entstehen, die Auftragslage verschlechtert sich und/oder der Auslastungsgrad sinkt. Ziel in dieser Phase muss die Rückgewinnung der Rentabilität sein. Problematisch ist in dieser Phase, dass Geschäftsleitungen oft nicht bereit sind, Schwierigkeiten einzugestehen. Gegenüber dem Betriebsrat werden die Probleme häufig heruntergespielt und die Situation in der Regel noch optimistisch dargestellt. Dabei ist es gerade in der Ertrags-Krise dringend notwendig, Veränderungsprozesse einzuleiten, denn sonst besteht die große Gefahr von Arbeitsplatz- und Personalabbau – je nachdem, wie „kurzatmig“ die Eigentümer gerade sind. Insbesondere wird Personalabbau als erste Maßnahme gewählt, um schnell Kosten zu reduzieren. Dies kann aber fatal sein, wenn nicht die Ursachen der Krise bekämpft werden. Dann nämlich verschärft sich die Schieflage, es droht eine Liquiditäts-Krise.
Phase 3: Liquiditäts-Krise
Die Phase der Liquiditäts-Krise teilt sich noch einmal in drei Stufen. Bei der drohenden Insolvenz ist ein Zustand drohender Zahlungsunfähigkeit erreicht: Es fehlt massiv Geld! Dabei werden unter anderem Zulieferer verspätet bezahlt, Löhne oder Krankenkassenbeiträge spät oder gar nicht ausgezahlt oder das Unternehmen versucht über Sonderaktionen, massive Rabatte und Preissenkungen schnelle Geldeinnahmen umzusetzen. Die Folgen dieser Schieflage sind dabei unübersehbar. Lieferant*innen liefern Waren nur noch gegen Vorkasse oder holen gelieferte Waren wieder ab, Banken sperren Kredite, Dienstleister*innen ziehen sich zurück. Dabei ist die Existenz des Unternehmens stark gefährdet und Arbeitsplätze akut bedroht. Wenn es hier nicht gelingt, liquide Mittel zu beschaffen, dann ist die Insolvenz eingetreten. Wenn das Unternehmen nicht mehr zahlungsfähig ist, muss in der nächsten Stufe Insolvenz beantragt werden. In diesem Verfahren wird – meist mit externer Unterstützung oder unter bestimmten Auflagen – versucht, das Unternehmen zu sanieren. Gelingt auch das nicht, wird Insolvenz eröffnet und das Unternehmen in der Regel liquidiert. Zur Insolvenz hat die TBS die Broschüre „Unternehmensinsolvenzen und Restrukturierungsverfahren: Neue Möglichkeiten der Sanierung“ veröffentlicht.
Entwicklungen, mit denen der Betriebsrat in der Krise rechnen muss
Im Allgemeinen reagieren Unternehmen auf diese Schieflage mit zwei möglichen Lösungssträngen: Maßnahmen zur Steigerung von Umsätzen oder Kostensenkungsprogramme.
Maßnahmen zur Steigerung von Umsätzen erfordern in der Regel Investitionen und die Entwicklung von Innovationen. In den Phasen der Strategiedefizite und der Ertrags-Krise können solche umsatzsteigernden Maßnahmen durchaus Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung des betroffenen Unternehmens nehmen, in der Phase der Liquiditäts-Krise greifen diese Maßnahmen nur in den seltensten Fällen, da in dieser Phase den Unternehmen nur wenig Handlungsspielraum bleibt. Beispiele für umsatzsteigernde Maßnahmen finden sich z. B. in der Entwicklung neuer, (qualitativ) besserer und innovativer Produkte und Dienstleistungen, neue oder andere Marketing- oder Absatzstrategien, in der Verbesserung interner Prozesse, die unmittelbar Auswirkungen auf den Absatz haben oder auch in der Umsetzung von Preissteigerungen.
So notwendig es ist, umsatzsteigernde Maßnahmen umzusetzen, bergen diese ein gewisses Erfolgsrisiko. Die Effekte dieser Maßnahmen auf die Schieflage sind im Voraus wenig abschätzbar. Bei der Produkt- oder Dienstleistungsentwicklung ist es unbestimmt, ob Innovationen am Markt ankommen und entsprechend nachgefragt werden. Marktforschung kann zwar im Vorfeld Hinweise auf Umsatzeffekte geben, ein Garant für eine erfolgreiche Markteinführung ist dies aber nicht. Auch ist unbestimmt, ob und wie Markteinführungsstrategien (Werbung, Angebote, etc.) zum Erfolg führen. Umsatzsteigernde Maßnahmen erfordern nicht zuletzt die Bereitschaft zu investieren und sind daher oft mit (teilweise hohen) Kosten verbunden. Darüber hinaus bergen Preissteigerungen zusätzliche Risiken, die dazu führen können, dass Umsätze noch weiter zurückgehen.
Kurzarbeit, Verzicht, Personalabbau: Wie der Betriebsrat gegensteuert
Erfolgversprechender sind deshalb für viele Unternehmen die Senkung von Kosten im Unternehmen. Kostensenkungsprogramme setzen in der Regel zunächst bei den „Kosten“ – oder besser gesagt „Aufwendungen“ – an, die am schnellsten und leichtesten umzusetzen sind und (am besten) sofort greifen. Für Unternehmen in Schieflage ist es deutlich schwieriger, direkte Kosten – zum Beispiel für Rohstoffe, Material, Waren oder bezogene (Dienst-)Leistungen zu senken oder Verträge mit langen Laufzeiten zu kündigen. Einfacher ist es da, an den Kosten für Personal anzusetzen.
Eine Senkung von Personalkosten kann dabei über Kurzarbeit oder Verzichtsleistungen der Beschäftigten erfolgen, wie z. B. Verzicht auf Sonderzahlungen, Urlaub oder auch Lohn bzw. Gehalt. Andere Kostensenkungsprogramme beim Personal zielen auf direkten Personalabbau – z. B. durch Umstrukturierung mit der Auslagerung von Produkten oder Dienstleistungen (auch) ins Ausland oder auch Stellenabbau durch die Nutzung „natürlicher“ Fluktuation (Ausscheiden in den Ruhestand, Auslaufenlassen befristeter Arbeitsverträge, etc.), über Aufhebungsverträge, durch Entlassungen oder Betriebsschließungen. Personalkosten zu senken wirkt besonders attraktiv, da sich die Effekte vergleichsweise kurzfristig zeigen. Kurzarbeit, Verzichte oder Personalabbau wirken in einem Zeitraum bis zu sechs Monaten – in der Regel aber deutlich kürzer. Bei Personalabbau ist der Kosteneffekt auch nachhaltiger, da Personalkosten mit dem Verlassen des Unternehmens einfach entfallen.
Zusammengefasst greifen Unternehmen in der Krise in der Regel zunächst auf Personalmaßnahmen zurück, um möglichst schnell und effektiv Kosten einzusparen und sich „Luft“ zu verschaffen. Andere Kostensenkungs- oder Umsatzsteigerungsmaßnahmen bedeuten dagegen für das Unternehmen einen höheren Aufwand, der häufig vermieden wird, obwohl es sich lohnen kann. Die Auswirkungen von Personalabbau auf das Unternehmen und dessen Produktivität werden häufig unterschätzt, wie auch Potenziale arbeitsorientierter Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung.
Auswirkungen einer wirtschaftlichen Krise auf die Belegschaft
Wirtschaftliche Krisen können vielfältige negative Auswirkungen auf die Belegschaft haben. Dazu gehören:
- Psychischer Stress: Die Unsicherheit über die Zukunft des Unternehmens und die eigene berufliche Situation kann zu erheblichem psychischen Stress führen. Mitarbeiter*innen sorgen sich um ihre Arbeitsplätze, finanzielle Sicherheit und berufliche Zukunft.
- Gesundheitliche Probleme: Anhaltender Stress und Angst können zu gesundheitlichen Problemen wie Schlafstörungen, Depressionen und anderen stressbedingten Erkrankungen führen.
- Produktivitätsverlust: Die Sorge um die eigene Zukunft kann die Motivation und Produktivität derMitarbeiter*innen beeinträchtigen. Dies kann wiederum die wirtschaftliche Lage des Unternehmens weiter verschlechtern.
Die Rolle des Betriebsrats in der Krise
Der Betriebsrat trägt entscheidend dazu bei, die Interessen der Belegschaft zu vertreten und sie in Krisenzeiten auf dem Laufenden zu halten und zu unterstützen. Je nach Ausmaß der betrieblichen Schieflage kommen unterschiedliche Maßnahmen infrage, um schwierige Phasen zu überbrücken:
- Qualifizierungskonzepte, die Kurzarbeit oder Kündigungen vermeiden helfen,
- ein erweitertes Arbeitszeitkonto,
- Investitionsprogramme,
- passgenaue Kurzarbeiterregelungen,
- die Entwicklung eines eigenen Haustarifvertrags.
Es lohnt sich, diese Möglichkeiten gemeinsam mit dem Arbeitgeber zu prüfen und aktiv mitzugestalten. Hier sind einige Maßnahmen, die Betriebsräte ergreifen können.
Maßnahmen, die der Betriebsrat in der Krise ergreifen kann
Im Folgenden sind die wesentlichen Maßnahmen beschrieben, die ein Betriebsrat im Zuge einer Schieflage ihres Betriebes ergreifen oder initiieren kann.
Krisenfrüherkennung
Der Betriebsrat sollte sich regelmäßig über die wirtschaftliche Situation informieren. Dies kann über Nachfragen im Monatsgespräch erfolgen oder über einen gut funktionierenden Wirtschaftsausschuss. Dies gilt grundsätzlich, auch – und gerade – wenn sich gar keine Krisen andeuten. Im Krisenfall selbst ist die Kenntnis der aktuellen wirtschaftlichen Situation und deren Ursache von immenser Bedeutung. Vorschläge zur Beschäftigungssicherung können immer unterbreitet werden. Betriebsräte können – wenn es gelingt - auch gemeinsam mit der Geschäftsleitung Frühwarnsysteme entwickeln, um wirtschaftliche Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Kommunikation und Transparenz
Offene und transparente Kommunikation ist entscheidend, um Unsicherheiten zu reduzieren. So gilt es nicht nur in Krisenzeiten, dass regelmäßig über die wirtschaftliche Situation z. B. in Belegschafts- oder Abteilungsversammlungen informiert wird – in der Regel durch die Geschäftsleitung. Für die Bewältigung einer wirtschaftlichen Krise ist nichts schädlicher, dass die Beschäftigten aus den Medien die Information über eine Schieflage erhalten. Deshalb unser Tipp: Gezielte Infos anfordern und engere Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber vereinbaren.
Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung und Unterstützung holen
In Krisenzeiten ist es wichtig, dass der Betriebsrat aktiv mit der Geschäftsführung verhandelt, um Lösungen zu finden, die sowohl die Interessen der Mitarbeiter als auch die des Unternehmens berücksichtigen. Dabei sollten sich Betriebsräte Unterstützung von außen holen. Dies können in erster Linie Gewerkschaften, wirtschaftliche Sachverständige und Rechtsanwält*innen sein, die sie bei betriebspolitischen Aktionen oder bei der fachlichen und juristischen Bewertung von Informationen und Maßnahmen beraten und unterstützen.
Netzwerke und Kooperationen
Der Austausch mit anderen Betriebsräten und die Zusammenarbeit mit externen Experten und Organisationen kann wertvolle Impulse und Unterstützung bieten.
Weiterbildung und Qualifizierung
Die Förderung von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kann dazu beitragen, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter*innen zu erhöhen und sie auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten.
Unterstützungsangebote für den Betriebsrat
Ist der Krisenfall eingetreten und deutlich spürbar, kann der Betriebsrat Programme zur psychischen Gesundheit und Stressbewältigung initiieren oder fördern. Dazu gehören beispielsweise Beratungsangebote, Workshops und Schulungen. Darüber hinaus sollte er ein offenes Ohr für die wirtschaftlichen Sorgen und Nöte der Belegschaft haben und Beratungsangebote schaffen.
Grundlage dafür ist ein funktionsfähiger Betriebsrat, der geschult ist und sich Unterstützung von außen holt: bei den Gewerkschaften, anderen Betriebsräten sowie externen Sachverständigen, wie Rechtsanwält*innen und die TBS NRW.
Angebote der TBS für den Betriebsrat
Die TBS berät Betriebsräte und Wirtschaftsausschüsse bei der Bewertung wirtschaftlicher Situationen, begleitet Betriebsänderungen und unterstützt bei Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan. Darüber hinaus kann sie Workshops zur Früherkennung und Potenzialanalyse durchführen sowie Szenarien zur Beurteilung unternehmerischer Strategien entwickeln. Darüber hinaus bietet die TBS auch ein breites Spektrum von speziell auf die Betriebsratsgremien zugeschnittenen Inhouse-Schulungen sowie Überblicks- oder Grundlagenschulungen für Betriebsräte und Wirtschaftsausschüsse. Schließlich stellt die TBS eine breite Palette an Informationsmaterialien (Broschüren) an, welches unter www.tbs-nrw.de/medien heruntergeladen werden kann.
Wirtschaftliche Krisen sind eine Herausforderung für jedes Unternehmen, Betriebsräte und Belegschaften. Betriebsräte haben in diesen Zeiten eine besondere Verantwortung, die Belegschaft zu unterstützen und für deren Interessen Lösungen zu finden. Die TBS NRW bietet hierzu umfangreiche Unterstützungsmöglichkeiten an. Eine Klärung der richtigen Unterstützung zu den anstehenden Herausforderungen, Themen und spezifischen Angeboten ist mit den Berater*innen der TBS NRW jederzeit möglich.
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